Worauf es ankommt:
"Was ist der Mensch, dass du Gott an ihn denkst?" (Psalm 8, 5)
Um uns den Horizont zu erweitern, möchte ich einmal kurz eine "aufsteigende" Anthropologie und Theologie entwickeln.
- Ich finde mich als 60jähriger Mann, zölibatär, Westfale, Deutscher mit einigen italienischen Ahnen, überzeugter Europäer,
weltgereist, Katholik, ...
Ich frage mich: ist Gott denn nur ein Gott der Alten? Jesus zum Beispiel wurde
nur etwa 33 Jahre alt. Wollen wir von alten biblischen Gestalten lernen, dann
müssen wir schon woandershin schauen: Salomo, Hanna, Simeon ...
Ein "Gott der Männer" gar? Wollen wir es nicht ganz so ernst nehmen, wenn in
einem Gottesdienst, der von 40 Frauen und 2 Männern werktags besucht wird,
wieder die zusätzlich zum Textkorpus eingeführte Anrede "Brüder!" erklingt ...
- Die Fürbitten heute, aus einer der deutschen Diözesen, klangen in meinen
Augen schräg und ich habe sie darum etwas abgeändert.
"Nachfolge Jesu": also das machen dann nur die Hauptamtlichen? Wohl möglich
nur die geweihten Zölibatäre??
So Wenige, wie die geworden sind! Wofür steht denn sonst die
Formulierung "in deine besondere Nachfolge gerufen"? Was machen denn dann
alle anderen Christen, wenn sie nicht "besonders" Jesus nachfolgen?
Nehmen wir sie noch ernst?
- "Schau mal über den Tellerrand!" war das Motto einer Eine Welt Initiative. Wir werden angehalten, saisonale und
regionale Produkte zu kaufen, bei den Lebensmitteln. Natürlich, es gibt sie, die "regionale Küche": in Westfalen eher herzhaft als süß, deftig, Mettwurst, Kohl und Schinken. Wie wichtig ist mir das Westfale-Sein?
Ich glaube, es ist viel weniger wichtig als es vor 200 Jahren wichtig gewesen sein mag, als es in Deutschland noch regionale Fürstentümer, Zölle und Kriege gab. Die Hessen, die Rheinländer, die Bayern, heute: die Flüchtlinge ...
was macht das jetzt schon noch aus?
- Ein Deutscher bin ich. Na ja, früher, wenn wir in der Ferienzeit unsere europäischen Nachbarn besuchten, war aufgeklärtes "Sich Schämen" angesagt. "Wir" hatten ja immerhin zwei Weltkriege begonnen, die unsägliches Leid über die Menschen brachten. Jedes mal wurden dabei auch unsere europäischen Nachbarn überfallen, brutal überfallen. Und dann rauchen innerlich die Schornsteine der Krematorien in den sogenannten Konzentrationslagern immer noch: 10 Millionen Juden planmäßig ausgerottet, mit der uns Deutschen eigenen Gründlichkeit und Planung. Ach so, Sie haben damit nichts zu tun?? Aber Ihre Sprache verrät sie doch. Sie gehören doch auch zu dem Tätervolk!
- Je mehr es schwierig wird mit diesem Europa: ich muss gestehen, desto mehr liebe ich es. So ein großartiger Zusammenschluss von Nationen, die den Frieden wahren wollen.
Eine wirkliche "Kommunion", eine "Communio", eine Gemeinschaft von sonst
ganz unterschiedlichen Völkern und Nationen! Wie ist das möglich? Ohne die
Vision eines Adenauers, eines Gasparis, eines Schumanns wäre das noch nicht
einmal angedacht worden! Wie war es denn möglich, in relativ kurzer Zeit diese Gemeinschaft zu kreieren?
- Weltgereist: ja, das ist mir wichtig. Afrika, Alaska, USA, Europa, Israel und naher Osten: so viele Länder, unterschiedliche Kulturen, Erfahrungen, Geschichte und Lebensgefühl. Die Jesuiten, offiziell "die Gesellschaft Jesu" wurde humorvoll
immer auch schon als "Reisegesellschaft Jesu" betitelt, da die Patres wenig
sesshaft, aber um so mehr unterwegs waren, um das Evangelium zu verkünden.
Aber auch schon vor dem Ordenseintritt bin ich viel gereist.
Es gibt "nicht nur einen Weg, die Dinge zu sehen, Probleme zu lösen und die Gesellschaft zu ordnen."
Das war vielleicht die wichtigste Lehre für einen Weltenbummler wie mich.
Nicht alles muss deutsch werden. Mit viel Respekt und Hochachtung begegne ich den anderen Völkern, den anderen Kulturen, den anderen Menschen und Religionen. Darum lernte ich auch mehr als nur eine Sprache.
Es darf diese Vielfalt geben.
Keine Missionarfrauen müssen Überstunden machen, um den kleinen afrikanischen Kindern Unterhöschen zu stricken, die sie quengeln und weinend schnell wieder vom Leib ziehen wollen, weil sie kratzen und weil es 35 °C draußen war. Lachen Sie nicht, auch heute gibt es fundamentalistische amerikanische Kirchen, die das immer noch als ihr erstes Projekt in Afrika betreiben!
- Katholisch bin ich. Also was nun? Was ist mit den Evangelischen? Oder den Juden? Oder den Orthodoxen?
"Die jüdische Religion ist der Stamm, auf dem der Zweig des Christentums blüht und wächst".
Müssen die Juden Christen werden, um gerettet zu werden? Theologen sagen heute: nein!
Der erste Bund Gottes mit den Kindern Abrahams ist nicht aufgehoben.
Er gilt für sie immer noch.
Die Christen haben "den neuen Bund" im Blute Christi, der sich für uns Menschen hingegeben hat und so uns befreite vom ewigen Tod und der Knechtschaft von Sünde und Schuld. Er verkostete die gerechte Strafe, die uns Sündern und den Sündern der ganzen Welt durch alle Jahrhunderte zugestanden hätte. Darum sind wir frei und erlöst und können aufatmen.
Auch das Vergeben können wir lernen, weil uns selber schon vergeben wurde.
- Werden sich je alle Menschen zu einem Weg, zu einer Religion bekehren?
Das scheint doch sehr unwahrscheinlich. Aber: "Niemand kommt zum Vater außer durch mich", sagt Jesus doch.
Als er das sagte, war die Welt noch viel kleiner, die "bekannte" Welt.
Jesus musste zu Lebzeiten lernen, dass er eben nicht nur zu "den verlorenen Schafen des Hauses Israel" gesandt war. Er sollte nicht nur ein innerjüdischer Prophet werden!
Doch die Mission zu allen, besonders zu den Heiden, ergab sich –ganz säkular- durch die Ablehnung Jesu und seiner Botschaft im palästinensischen Judentum und im römischen Reich, wo bis zu Kaiser Kontantin die Christen nur im Untergrund Christen sein konnten.
Denn die Religion des römischen Reiches war ein Götter- und ein Kaiserkult. Die Einigkeit der anbetenden Gesellschaft wurde als essentiell zur gesellschaftlichen Einigkeit und zur Staatenbildung angesehen.
- Die abrahamitische Religionen: Judentum, Islam, Christentum sind wohl gemeinsam auf einem Weg.
Gibt es nur einen Gott, dann muss logischerweise dieser eine Gott derselbe für alle sein!
Vielleicht sehen die 3 Religionen Gott je etwas anders, aus einem anderen Blickwinkel, aber Gott selbst, der Eine, muss ihnen derselbe Gott sein.
Machen wir einen Test:
1) Wallfahren, 2) den Armen helfen, 3) das mehrmalige tägliche Gebet, 4) das Glaubensbekenntnis, 5) das Fasten ... In welcher Religion sind wir gerade?
Das Christentum würde das so durchdeklinieren:
- Wallfahrt nach Jerusalem, nach Rom, nach Lourdes ...
- den Armen helfen: Papst Franziskus: an die Ränder der Gesellschaft gehen.
Wie Mutter Teresa von Kalkutta, die Ärmsten der Armen suchen ...
- das Chorgebet der Ordensgemeinschaften, der Kontemplativen und Aktiven,
der Gemeinden ...
- das "Gloria Patri", das Kreuzzeichen, Votum
- vorösterliche Busszeit; vorweihnachtliche Zeit ...
Für unsere muslimischen frommen Freundinnen und Freunde geht dasselbe aber so:
- Wallfahrt nach Mekka
- die Armensteuer, das Helfen
- das fünfmalige Gebet am Tag in der Gemeinschaft
- "Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet"
- der Ramadan und sein striktes Fasten bis zum Sonnenuntergang
- Wie sehen wir das? Ist das nicht eher "ähnlich"? Muss es "total unterschiedlich" sein?
Kann meine eigene Religion nur dann wahr sein, wenn ich alle anderen als "falsch" deklariere oder zumindest sie mildherzig "unvollkommen" nenne und als "defizitär" ansehe?
Welche Haltung fördert die Toleranz und "den Frieden auf Erden", der bei der Geburt Jesu in Betlehem
von den Engeln verheißen wurde?
- Und die anderen Religionen?
Ich bin überzeugt, das wir von einem gewaltlosen, friedlichen Buddhismus eine Menge lernen können. Nicht nur, wie wir achtsam mit der Umwelt, der Schöpfung umgehen können, sondern auch, wie wir als Mensch mit unseren Mitmenschen gewaltfrei zusammenleben können.
Eine Randbemerkung: Wenn die Bergpredigt "das Programm Jesu" ist, warum
lesen wir es so selten im Gottesdienst und in den Leseordnungen?? Vom Empfinden her möchte ich es einmal im Monat hören, betrachten und miteinander besprechen! Und: lassen Sie uns vorsichtig sein mit "militärischen"
Sprachbildern und Vergleichen. Ob Jesus heute in Syrien zum Beispiel solch ein Gleichnis mit den "zwei Königen, die in den Krieg gegeneinander ziehen wollen" (Lukas 14, 31 f.) gebrauchen möchte? Müssen wir es im Gottesdienst so "verkünden"??
- Weitere, "andere" Religionen: kann ich ihnen die Suche nach Gott, die Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung (der Priesterdichter Cardenal nennt das "den Durst" im "Buch von der Liebe") absprechen? Ist nicht, mit Paulus, "was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist ..." (Philipper 4, 8) auch ein Weg zum Mitmenschen und zu Gott?
Habe ich die "Weite", das so zu sehen und zuzulassen? Und mit der Apostelgeschichte 17, 23 verehren nicht schon viele Völker, die vom Christentum nicht oder kaum berührt wurden, "den unbekannten Gott"?
- Was nun ist wichtiger? Die Menschen und der Weltfriede und Gerechtigkeit und das Verstehen?
- Oder das Durchsetzen meiner religiösen Doktrin, meiner Kirche, meiner Weltsicht, die sicher immer begrenzter ist, als das "Katholisch" ("katolikos" im Griechischen: "weltweit", "allumfassend". Also nicht "partikulär", nicht "national" (es dürfte keine National-Kirchen geben!).
- Wenn ich also bekenne, im Glaubensbekenntnis:
"Ich glaube an die EINE, HEILIGE, KATHOLISCHE (die Protestanten übersetzen: "ALLGEMEINE") UND APOSTOLISCHE KIRCHE" dann könnte ich im gleichen Atemzug gesagt haben:
Ich glaube, dass Gott die ganze Menschheit ohne Ausnahme geliebt, geschaffen und erlöst hat.
Darum ist die ganze Schöpfung (Flora, Fauna, Menschen und Materie) heilig, weil von Gott stammend.
Keine Grenzzäune, Meere, Mauern und Wälle sollen die Menschheit voneinander trennen; "communio", Gemeinschaft ist das von Gott vorgegebene Lebensthema und das "Teilen" dann bei Jesus Christus.
Unsere Kirche ist gegründet auf die erste Gemeinschaft um Jesus und seine Jünger, die er aussandte und die darum Apostel heißen. Die Kirche ist durch die Jahrhunderte dynamisch im Heiligen Geist,
sie besteht immer aus Heiligen und aus Sündern; sie ist immer reformbedürftig und sie wird die Zeiten überdauern bis alles übergeht in die Herrlichkeit, das Reich Gottes und die Gottesherrschaft "am Ende der Tage". Bis dahin heißt es hoffen, Gutes tun und Geduld haben.
Die Kirche und das Projekt "Reich Gottes" ist zuerst in Gottes Verantwortung, nicht in unserer. Das sollten wir nicht vergessen.
Darum besteht kein Grund zum Verzweifeln und zu Unkenrufen. "Gott kann", dieses Wort auf einem Stück Holz, hatte ein von mir sehr geschätzter evangelischer Kollege auf seinem Schreibtisch, neben seinem Computer stehen. "Gott kann!" Gott macht das schon! Gut. Amen.
Wolf Z. Schmidt S. J.
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